Der Hunzenschwiler Max Nägelin (85) hat sein aufregendes Leben um ein Kapitel bereichert: Vor fünf Jahren spielte er sein erstes offizielles Turnier und gewann gleich die Bronzemedaille an der Schweizer Meisterschaft. Heute steht er fünf Mal pro Woche auf dem Tennisplatz.
Ein typischer Herbsttag: grauer Himmel, tief hängende Wolken, etwas über zehn Grad und feucht. Auf der Anlage des Tennisclubs Suhr ist wenig los. Lediglich auf Platz eins wird gespielt. Zwei Senioren jagen sich übers Feld. Bei schönen Punkten gibts Lob vom Gegner, doch der Ehrgeiz ist zu spüren. Über verpatzte Chancen ärgern sie sich genauso, wie sie sich über gelungene Stoppbälle freuen. Einer der beiden Senioren ist der 85-jährige Max Nägelin. Vor zwei Wochen hat er in Hinterzarten (De) sein erstes internationales Tennisturnier in der Spielklasse Ü85 gewonnen. In dieser Alterskategorie ist er die Nummer 21 der Welt. Darauf ist er stolz, auch wenn nur 41 Spieler in der Rangliste geführt werden.
Dass Nägelin in seinem Alter noch immer den Tennisbällen hinterherrennen kann, ist nicht selbstver- ständlich. Im Alter von 22 Jahren erkrankte er an Tuberkulose, war neun Monate in einem Sanatorium, ehe er wieder auf die Beine kam. «Wäre nicht gerade zu dieser Zeit ein Wirkstoff gegen Tuberkulose auf den Markt gekommen, wäre ich heute nicht mehr hier», ist er überzeugt. Doch nicht nur wegen seiner Krank- heit blickt er auf eine bewegte Vergangenheit zurück.
Einmal über den Atlantik gesegelt
Aufgewachsen ist Max Nägelin in Lausen BL. Nach der Schule schlug er sich mit Gelegenheitsjobs durch, eine Lehre absolvierte er nicht. Er arbeitete in verschiedenen Firmen, war Schweisser und Chauffeur. Nach überwundener Krankheit zog Nägelin mit seiner damaligen Freundin nach Biel, wo er eine Stelle als Bürohilfskraft in der Uhrenindustrie annahm. Als er 27 war, verstarb seine Freundin bei einem Unfall. Für Max Nägelin ein Zeichen. «Ich dachte mir, jetzt musst du deinen Lebenstraum erfüllen: Einmal über den Atlantik segeln.» Gemeinsam mit einem Bekannten kaufte er ein Segelschiff. Fünf Monate fuhren sie vor der Küste der Bretagne, um sich ans Meer zu gewöhnen. Dann kam er zurück in die Schweiz. Er musste Geld verdienen. «Tagsüber arbeitete ich im Büro und nachts fuhr ich Taxi.»
Im darauffolgenden Sommer brach er auf. Von Frankreich bis nach Casablanca segelten er und sein Bekannter. Dann wollte dieser nicht mehr weiter. Nägelin verkaufte das Schiff und schloss sich einem Deutschen an. Gemeinsam überquerten sie den Atlantik. 14 Monate später war Nägelin zurück in der Schweiz, seinen Lebenstraum hatte er sich erfüllt. «Jetzt war es an der Zeit, etwas Anständiges zu tun», erklärt der Weltenbummler.
Er holte das KV nach, heiratete und arbeitete fortan als Buchhalter. Im Alter von 37 Jahren begann er, Tennis zu spielen. Nicht wettkampfmässig, nur für den «Hausgebrauch», wie er es nennt. 1970 zog er mit seiner Frau nach Hunzenschwil, wo er noch heute wohnt. Dem Tennissport hielt er die Treue. Im TC Küttigen spielte er erstmals Interclub, als Aushilfsspieler. Sein erstes offizielles Turnier bestritt er erst viel später – mit 80 Jahren. «Mein früherer Trainer meinte, ich sei so fit, ich müsse unbedingt Turniere spielen. Ich hätte gute Chancen», erzählt er.
Noch lange nicht genug
Sein Trainer sollte recht behalten. Bei seinem ersten Einsatz – es waren die Schweizer Meisterschaften der über 80-Jährigen – schlug Nägelin die Nummer zwei der Schweiz und gewann Bronze. Doch damit nicht genug. Im drauffolgenden Sommer gewann er an der SM die Silbermedaille und wurde für die Weltmeisterschaft in der Türkei selektioniert. Dort gabs wieder die bronzene Auszeichnung mit dem Schweizer Team – alles in seinem ersten Jahr als Turnierspieler.
Heute steht Nägelin fünf Mal pro Woche auf dem Tennisplatz. Sommer und Winter. Zudem spielt er seit fünf Jahren für den TC Suhr, wo der Routinier fester Bestandteil des 3.-Liga-Interclubteams ist. Dass seine Gegner teilweise 30 Jahre jünger sind, stört ihn nicht. «Ich habe Spass. Tennis macht mich fit und gesund», sagt er lachend. Ans Aufhören verschwendet er keinen Gedanken. Im Gegenteil: Max Nägelin plant bereits die nächste Teilnahme am Turnier in Hinterzarten.
Text und Bild von Fabio Baranzini