Vor vier Monaten hat Amra Sadikovic nach einem Jahr Pause ihr Comeback auf der WTA-Tour gegeben. Nach nur gerade acht Turnieren gehört sie bereits wieder zu den Top 300 der Welt. Zuletzt spielte sie zwei Turniere in Amerika, wo sie unter anderem beim mit 75 000 Dollar dotierten Turnier in Albquerque die Halbfinals erreichte. Es war das erste Mal überhaupt, dass sie bei einem Event dieser Grösse in die Runde der letzten vier vorgestossen war – und das als Qualifikantin.
Zurück in der Schweiz erklärt Amra Sadikovic im Interview, weshalb sie das Comeback gewagt hat, spricht über die Bedeutung ihrer Familie und verrät, weshalb sie sich über einen Anruf von Belinda Bencic besonders gefreut hat.
Amra Sadikovic, Sie sind letzten Montag eine Woche früher als geplant von Ihrer Amerika-Tour nach Hause gekommen und das obwohl Sie sehr erfolgreich gespielt haben. Warum?
Amra Sadikovic: Bei meinem zweiten Turnier habe ich gemerkt, dass ihr sowohl körperlich als auch mental sehr müde war. Ich habe in den letzten Wochen sehr viele Matches gespielt. Allein in Amerika waren es deren 14 innerhalb von eineinhalb Wochen. Ich habe daher entschieden, dass ich das dritte Turnier auslasse und zurück in die Schweiz komme, um mich zu erholen und gut auf die nächsten Matches vorzubereiten.
Sie haben diese Woche also ein paar trainingsfreie Tage eingelegt?
Nein, nicht wirklich. Ich bin am Montagmittag gelandet und am Dienstagmorgen um Viertel nach sechs stand ich bereits wieder im Kraftraum. Das war allerdings nicht geplant. Wegen des Jetlags war ich jedoch morgens um vier bereits hellwach und musste unbedingt etwas tun. Ich glaube, ich war noch nie so früh im Kraftraum. Der Mann am Empfang hatte mich jedenfalls ziemlich verwundert angeschaut. (lacht) Aber die Vorbereitung für die nächsten Turniere hat schon diese Woche wieder begonnen.
Ihr Comeback ist bisher äusserst erfolgreich verlaufen. Hand aufs Herz: Hätten Sie gedacht, dass sie so schnell wieder zu den Top 300 gehören?
Nein, definitiv nicht. Es ist krass, wie schnell ich wieder nach oben kam. Ich hätte es mir viel schwieriger vorgestellt und ich habe auch damit gerechnet, dass ich vor allem am Anfang viele Matches verlieren werde.
Es fällt auf, dass Sie seit Ihrer Rückkehr auf die Tour kein einziges Match in der Qualifikation verloren und auch sonst sehr konstant gespielt haben. Wie kommt das?
Ganz ehrlich: Ich weiss es nicht. Momentan freue ich mich einfach auf jedes Match, das ich spielen kann. Dabei ist mir ziemlich egal, ob ich in der Qualifikation antreten muss oder direkt im Hauptfeld spielen kann.
Sie gewinnen plötzlich auch auffallend viele enge Matches. Das war in der Vergangenheit nicht immer so.
Das stimmt. Ich glaube, das hängt damit zusammen, dass ich viel weniger emotionale Up and Downs habe während eines Matches. Früher spielte stark und dann war alles super. Kurz darauf folgten zwei schlechte Games und dann brach für mich eine Welt zusammen. Jetzt versuche ich, immer weiter zu kämpfen und dran zu bleiben, auch wenn es nicht wie gewünscht läuft. Das hilft mir auch, mit Niederlagen gelassener umzugehen und ich stelle nicht mehr alles in Frage, nur weil ich ein enges Match verliere. Alles in allem bin ich wohl professioneller geworden, vor allem auch neben dem Platz.
Inwiefern?
Ich bereite mich viel bewusster auf ein Match vor. Das beginnt bereits am Abend vor dem Match. Ich mache mir Gedanken zur Taktik und schaue ein paar Tennisvideos von mir an, wo ich richtig gut gespielt habe. Vor dem Match laufe ich rund 30 bis 40 Minuten ein, damit ich bereit bin. Früher habe ich einfach ein paar Mal die Arme gekreist und stand dann auf den Platz. Auch nach dem Match nehme ich das Auslaufen, das Ausdehnen und die Regeneration viel seriöser als früher. Das tut mir wirklich gut und ich kann lockerer in die Matches gehen, weil ich weiss, dass ich in der Vorbereitung alles richtig gemacht habe.
Spielen Sie heute besser als während ihrer ersten Karriere?
Das ist schwierig zu sagen. Was die Beinarbeit anbelangt, bin ich noch nicht ganz dort, wo ich schon einmal war. Aber meine Schläge und mein Timing sind viel besser früher.
Wie kommt das?
Ich glaube, das hängt ein Stück weit damit zusammen, dass ich nach meinem Rücktritt ein Jahr als Tennistrainerin gearbeitet habe. Ich habe in dieser Zeit viele Stunden auf dem Tennisplatz verbracht, habe unzählige Bälle geschlagen und musste mich für jede Lektion dem Spielniveau und dem Tempo meiner Schüler anpassen.
Ihre Rückkehr auf die Tour barg auch ein gewisses Risiko. Andere Spielerinnen stehen bereits mit 18 oder 20 in den Top 100. Sie dagegen haben den Durchbruch bis 25 nicht geschafft, haben dann ihren Rücktritt erklärt und gaben nach einem Jahr Pause im Alter von 26 ihr Comeback.
Das war tatsächlich kein einfacher Entscheid. Ich hatte damals einen super Job als Trainerin, der mir viel Spass gemacht hat. Dadurch ging es mir auch finanziell gut, was zuvor als Tennisprofi längst nicht immer der Fall war. Auch privat musste ich viel zurückstecken. Ich musste mich fürs Tennis und gegen mein Privatleben entscheiden. Das war schon hart. Aber am Ende war ich nicht ganz glücklich mit meiner damaligen Situation. Ich bereute es, dass ich mich als Profi zu oft unter Druck gesetzt und an mir gezweifelt habe, statt es zu geniessen und frei drauflos zu spielen. Das wollte ich unbedingt nachholen.
Wie hat ihr Umfeld reagiert, als Sie gesagt haben, dass Sie nochmals einen Anlauf als Tennisprofi nehmen wollen?
Ich war sehr froh, dass meine Familie und vor allem meine Eltern hinter mir standen. Das hat mir enorm geholfen. Auch sonst erhielt ich viele positive Rückmeldungen. Besonders gefreut habe ich mich über den Anruf von Belinda Bencic. Sie hat mir alles Gute gewünscht und hat sich gefreut, dass ich zurückkomme. Das fand ich sehr cool. Aber grundsätzlich befasse ich mich nicht mehr so viel wie früher mit dem, was die anderen von meinen Entscheidungen halten.
Seit Ihrem Comeback trainieren Sie nicht mehr im nationalen Leistungszentrum von Swiss Tennis in Biel, sondern in Baden bei Muhamed Fetov, der seit vielen Jahren ein guter Freund von Ihnen ist. Wie funktioniert diese Zusammenarbeit?
Wir kennen uns seit vielen Jahren und verstehen uns hervorragend. Sobald wir auf dem Platz arbeiten, ist Muhi aber ganz klar der Chef. Ich habe Respekt vor ihm und merke sofort, wenn ihm etwas nicht passt. Es hilft mir enorm, dass ich einen Coach habe, der mich sehr gut kennt und genau weiss, was ich brauche. Denn wenn man nicht weiss, wie man mit mir umgehen muss, dann ist es schwierig, mit mir zusammen zu arbeiten. Mit Muhi klappt das bisher super.
Da sie in Baden und nicht mehr in Biel trainieren, können Sie auch mehr Zeit bei ihrer Familie in Birr verbringen. Was bedeutet Ihnen das?
Meine Familie ist mir mega wichtig. Wenn ich nach Hause komme und meine Familie und meine Schwester mit ihren beiden Töchtern besuche, kann ich Energie tanken. Sie sorgen dafür, dass bei mir alles im Gleichgewicht bleibt. Sie holen mich wieder runter oder bauen mich auf, je nachdem in welcher Situation ich mich gerade befinde. Diese Unterstützung ist sehr wichtig für mich, denn gerade während den Turnieren bin ich oftmals alleine unterwegs. Umso schöner ist es, danach wieder nach Hause zu kommen.
Hat sich eigentlich Fed-Cup-Coach Heinz Günthardt schon bei Ihnen gemeldet?
Ja, allerdings nicht, um mich für den Fed Cup zu nominieren. Er erkundigt sich regelmässig, wie es bei mir läuft und ob ich Unterstützung brauche. Es ist aber ganz klar mein Ziel, dass ich eines Tages wieder zum Fed-Cup-Team gehöre.
Wie sehen Ihre Pläne für den Rest der Saison aus?
Ich werde noch etwa sechs Turniere spielen. Die nächsten beiden werden in Kanada sein. Das Ziel ist es, dass ich mich bis etwa auf Rang 230 der Weltrangliste verbessern kann, damit ich im Januar erstmals die Qualifikation für die Australian Open bestreiten kann. Das wäre genial.
Interview und Bilder von Fabio Baranzini